REVERSE FINANCIALS
ANLEITUNG VON ZOÉ WEKWERTH UND STEFAN PETZOLT, INSTITUT FÜR INNOVATION UND TECHNIK (IIT), JULI 2021
ECKDATEN
Methode
Das Reverse Financials Tool ist ein erster Schritt, um einem Geschäftsmodell Zahlen zuzuordnen. Die Grundidee des Tools ist es, sich in den angestrebten Zielzustand des Geschäftsmodells hineinzuversetzen und zu überprüfen, ob mit dem angedachten Konzept Gewinne erwirtschaftet werden können. Es werden erste wichtige Annahmen zu relevanten finanziellen Größen wie Erlöse und Kosten getroffen sowie überprüft. Das Tool verknüpft Annahmen mit konkreten Berechnungen und ermöglicht eine Top-down-Abschätzung der jährlichen Profitabilität eines Geschäftsmodells im Zielzustand. Nach einer ersten Präzisierung des Geschäftsmodells kann mit dem Reverse Financials Tool bereits zu einem frühen Zeitpunkt abgeschätzt werden, ob sich das Geschäftsmodell rentieren kann. Bei der Anwendung der Methode könnte sich beispielsweise herausstellen, dass der angedachte Preis für den angestrebten Profit zu niedrig ist oder Kundenakquisitionskosten zu hoch sind. Annahmen und Ertragsmodell müssen dann entsprechend angepasst und überarbeitet werden. Wenn ein positives Ergebnis erzielt wurde, kann dies als eine erste rechnerische Bestätigung des angestrebten Erlösmodells gewertet werden. Im nächsten Schritt sollten die getroffenen Annahmen gezielt überprüft und validiert werden.
Hinweis:
Wie bereits erwähnt, beruht das Reverse Financials Tool zu großen Teilen auf Annahmen hinsichtlich der verschiedenen Kennzahlen. Der Teilnehmendenkreis sollte demnach idealerweise aus Personen bestehen, die sich bereits mit dem Erlösmodell des Geschäftsmodells beschäftigt haben und aussagefähig hierzu sind.
Vorgehen
Vorbereitung | 20 Minuten
Drucken Sie im Vorfeld die Reverse Financials Tool-Vorlage im Format A0 aus. Bereiten Sie für alle Teilnehmenden Post-its und Stifte vor. Sorgen Sie dafür, dass es eine geeignete Fläche (Tafel, Pinnwand, Whiteboard etc.) gibt, auf der Sie die Tabelle aufhängen und die beschriebenen Post-its der Teilnehmenden sammeln können.
Durchführung | 1,5 – 2 Stunden
• SCHRITT 0 – INTRO | 15 MINUTEN
Beginnen Sie den Workshop mit einem kurzen Intro, in dem Sie die Teilnehmenden begrüßen und Ihnen einen Überblick über den Workshop-Ablauf geben. Wichtig ist auch, dass Sie die Erwartungen der Teilnehmenden an den Workshop erfassen (am besten visuell) und ausgehend davon den Scope des Workshops abstimmen. Der Scope beschreibt die Ziele und den Umfang des Workshops. Verdeutlichen Sie den Teilnehmenden, dass es bei der Methode darum geht, erste Annahmen und Berechnungen zu dem Umsatzmodell der Geschäftsidee zu treffen. Nichts, was in diesem Workshop festgelegt wird, ist final und allgemein gültig und alle getroffenen Annahmen müssen im weiteren Verlauf der Geschäftsmodellentwicklung noch validiert werden. Wenn sich die Teilnehmenden noch nicht kennen, bietet es sich an, eine kurze Vorstellungsrunde einzuplanen. Auch ein Warm-up ist empfehlenswert, um die Teilnehmenden auf den Workshop einzustimmen. Dabei kann das Warm-up als separater Punkt betrachtet werden oder mit der Vorstellungsrunde oder der Besprechung der Erwartungen kombiniert werden.
Tipp:
Lesen Sie zur Gestaltung des Intros die Anleitung „Grundlagen für Workshops“.
• SCHRITT 1 – SZENARIO FESTLEGEN | 15 MINUTEN
Legen Sie zu Beginn auch fest, welches Szenario betrachtet wird – eine spezifische Produktsparte, ein bestimmtes Projekt oder das gesamte Unternehmen. Wichtig ist auch, einen Zeitpunkt in der Zukunft zu bestimmen, zu dem die finanzielle Situation beschrieben werden soll.
• SCHRITT 2 – ÜBERBLICK REVERSE FIANCIAL TOOL | 5 MINUTEN
Geben Sie zu Beginn eine kurze Einführung und einen Überblick über das Reverse Financials Tool (siehe „Methode“).
• SCHRITT 3 – AUSFÜLLEN DER REVERSE FINANCIALS | 70-90 MINUTEN
Füllen Sie die Tabelle nun gemeinsam mit den Teilnehmenden von oben nach unten aus. Nutzen Sie hierfür Post-its, damit die eingetragenen Werte und Beschreibungen schnell und unkompliziert geändert werden können. In der Spalte „Quelle“ finden Sie einen Hinweis, was in der jeweiligen Zeile zu tun ist, also ob eine Annahme definiert oder der entsprechende Wert ausgerechnet werden muss. In der Spalte „Annahme und Berechnungen“ können Kalkulationen aufgeführt sowie Annahmen bzw. deren Herleitung und Begründung erfasst werden. Für eine Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse ist es wichtig, alle Denkprozesse während des Workshops hier zu dokumentieren.
Tipp:
Machen Sie den Teilnehmenden noch einmal deutlich, dass im weiteren Verlauf viel mit Annahmen gearbeitet wird und dass es normal ist, dass zu einem frühen Zeitpunkt der Geschäftsmodellentwicklung noch keine verlässlichen Kennzahlen existieren. Ziel der Methode ist es, entsprechende Annahmen das erste Mal zu definieren und schriftlich festzuhalten, um diese im Nachgang zu validieren und die Tragfähigkeit des Konzepts zu überprüfen. Die Devise beim Ausfüllen des Tools sollte »Lieber ungefähr richtig als genau falsch« lauten.
O SCHRITT 3.1 – BENÖTIGER PROFIT & ANGESTREBTE UMSATZRENDITE | 10-15 MINUTEN
Als Erstes werden die beiden Zeilen benötigter Profit und Umsatzrendite ausgefüllt. Regen Sie eine Diskussion unter den Teilnehmenden an und bitten Sie sie, die Ergebnisse auf Post-its festzuhalten und in das Canvas zu kleben. Um diese beiden Kennzahlen festzulegen, sollten sich die Teilnehmenden überlegen, ab welchem Profit das Geschäftsmodell überhaupt als attraktiv genug angesehen wird, um es weiterzuentwickeln. Da die weiteren Berechnungen auf diesen Werten beruhen, sollten sie mit Bedacht getroffen bzw. von Entscheidungsträger:innen bestimmt werden.
O SCHRITT 3.2 – BENÖTIGTER UMSATZ & ZULÄSSIGE KOSTEN | 3 MINUTEN
In den Zeilen benötigter Umsatz und zulässige Kosten sind keine Annahmen nötig, sie berechnen sich aus den zuvor definierten Werten.
O SCHRITT 3.3 – ERLÖSMODELL UND ERLÖSSTRÖME | 5 MINUTEN
In diesem Schritt wird das Erlösmodell qualitativ beschrieben. Bitten Sie die Teilnehmenden, also das Umsatzmodell (keine Umsatzzahlen) festzuhalten, die Einkommen erzeugen z. B. monatliche Abo-Gebühren, Nutzungsgebühren, Werbeeinnahmen. Wenn es mehr als einen Erlösstrom geben soll, kann der zweite Erlösstrom ebenfalls in die Tabelle eingetragen werden. Die Werte für den zweiten Erlösstrom sollten auf andersfarbigen Post-its eingetragen werden (z. B. Erlösstrom 1 = grüne Post-its, Erlösstrom 2 = gelbe Post-its). In der Zeile Umsatzverteilung wird dann erfasst, wie sich die Umsätze zwischen den Erlösströmen aufteilen (in %). Bitten Sie die Teilnehmenden dann, basierend auf der „Umsatzverteilung“ und dem „Benötigten Umsatz“, den Umsatz pro Erlösstrom zu kalkulieren. Wenn das Geschäftsmodell nur auf einem Erlösmodell basiert, werden diese beiden Zeilen freigelassen.
O SCHRITT 3.4 – DURCHSCHNITTLICHER PREIS PRO EINHEIT I 10 MINUTEN
Für den Preis pro Einheit wird wieder eine Annahme getroffen. Um den Preis festzulegen, sollten die Teilnehmenden überlegen, was ihre Kund:innen bereit sind, für das Produkt oder den Service zu zahlen. Es gibt verschiedene Methoden, um Preise basierend auf den Kund:innenreaktionen zu definieren bzw. die im Reverse Financials Tool getroffenen Preis-Annahmen zu validieren (z.B. Conjoint-Analyse, Preisrechner, Van Westendorp Methode). Weitere Informationen zu diesen Methoden finden Sie hier. Ein guter Orientierungspunkt können auch die Preise von Wettbewerbern sein. Wenn es den Service bzw. das Produkt bereits in ähnlicher Form am Markt gibt, können die entsprechenden Preise der Konkurrenz als Orientierung dienen, um einen passenden Preis festzulegen.
O SCHRITT 3.5 – ANZAHL VERKAUFTER EINHEITEN I 3 MINUTEN
Im nächsten Schritt wird die Anzahl verkaufter Einheiten aus dem Umsatz pro Erlösstrom und dem Preis berechnet und festgehalten.
O SCHRITT 3.6 – ANNAHMEN UND BERECHNUNGEN WEITERE KUND:INNEN I 20 MINUTEN
Zunächst wird eine Annahme getroffen, wie viel Einheiten pro Kund:in, pro Jahr verkauft werden. Darauf basierend kann die Anzahl an Kund:innen berechnet werden, die benötigt wird, um das Umsatzziel zu erreichen. Im nächsten Schritt wird eine Annahme hinsichtlich der Anzahl an Neukunden getroffen, die pro Jahr akquiriert werden müssen. Hierfür wird zunächst die angenommene Abwanderungsquote (auch „Churn Rate“) bestimmt, also der Verlust von Kunden pro Jahr (in %). Die Abwanderungsquote multipliziert mit der „Anzahl der Kunden“ ergibt dann die Anzahl der benötigten Neukund:innen pro Jahr. Die Kundenakquisitionskosten beruhen ebenfalls auf Annahmen, sollten aber möglichst aus Erfahrungswerten abgeleitet werden. Bitten Sie die Teilnehmenden, die Kosten über das benötigte Vertriebspersonal abzuleiten, wenn das Vorhaben im B2B-Bereich tätig ist bzw. über die Werbekosten, wenn es sich um ein B2C-Vorhaben handelt. Die »Kundenakquisitionskosten« multipliziert mit der benötigten »Anzahl der Neukunden« ergeben die gesamten Kundenakquisitionskosten.
O SCHRITT 3.7 – ANNAHMEN UND BERECHNUNGEN WEITERE KOSTEN I 20 MINUTEN
Zunächst werden die direkten Kosten pro Stück bestimmt, also die Kosten, z. B. Material, Versand etc., die anfallen, um eine Einheit zu verkaufen. Wenn diese Kosten bereits bekannt sind, können sie eingetragen werden, andernfalls wird an dieser Stelle wieder eine Annahme getroffen. Die gesamten direkten Kosten errechnen sich aus den Stückkosten multipliziert mit der Anzahl verkaufter Einheiten. Bei den gesamten indirekten Kosten werden die jährlichen Overhead-Kosten abgeschätzt, also die Kosten, die nicht einer individuellen Einheit zugeordnet werden können. Die Summe aus den „gesamten Kundenakquisitionskosten“ den „gesamten direkten Kosten“ und den „gesamten indirekten Kosten“ ergibt die erwarteten Kosten. Im letzten Schritt werden die „erwarteten Kosten“ von den zu Beginn festgelegten „zulässigen Kosten“ abgezogen, um den Kostenpuffer zu berechnen. Der Kostenpuffer gibt somit eine Aussage über die erwartete Wirtschaftlichkeit. Hat der Kostenpuffer ein negatives Vorzeichen, so deuten die Annahmen darauf hin, dass das betrachtete Geschäftsmodell aktuell nicht wirtschaftlich ist.
• SCHRITT 4 – ABSCHLUSS | 5 MINUTEN
Weisen Sie die Teilnehmenden abschließend darauf hin, dass alle Annahmen, die während des Ausfüllens des Reverse Financials Tools getroffen wurden, mit geeigneten Verfahren, validiert werden müssen. Machen Sie außerdem deutlich, dass sie davon ausgehen sollten, dass viele der Werte sich im Laufe der Zeit durch neue Erkenntnisse und Ergebnisse verändern werden und das Tool stetig mit den aktuellen Informationen angereichert und angepasst werden sollte.
•SCHRITT 5 – OUTRO | 10 MINUTEN
Abschließend ist es wichtig, kurz zusammenzufassen, was im Workshop erarbeitet wurde. Ebenso sollte nachgefragt werden, ob die Erwartungen der Teilnehmenden erfüllt werden konnten. Es bietet sich an, dies mit einer Feedbackumfrage für die Moderation zu verbinden. Gegebenenfalls sollten abschließend Verbleibe und Möglichkeiten zur Weiterarbeit mit den Workshopergebnissen besprochen werden.
Tipp:
Lesen Sie zur Gestaltung des Outros die Anleitung „Grundlagen für Workshops“.
VORLAGEN & BEISPIELE
- Kapitel „Reverse Financials“ (S.81) in „Der Geschäftsmodell Toolguide“
- 22 Testverfahren zum Überprüfen von Annahmen(BMI Lab)
- Präsentationsvorlage (PDF)
- Reverse Financials-Vorlage
- Reverse Financials – Excelvorlage
- Reverse Financials Excel-Vorlage des BMI Labs (englisch)
WEITERARBEITEN
Nach dem Workshop sollten die Ergebnisse in ein Spreadsheet übertragen werden, sodass das Reverse Financials digital verfügbar und leicht anpassbar ist. Eine entsprechende Excel-Vorlage finden Sie hier. Wie bereits erwähnt, sollte die ausgefüllte Reverse Financials Tabelle als Ausgangspunkt genutzt werden, um die getroffenen Annahmen zu validieren. Lesen Sie hierzu auch die Anleitung zum Testen von Annahmen.
Downloads der Unterlagen
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